Mag. phil.
Siegfried Kristöfl

Historiker, Autor &
Kulturmanager

Geboren 1964 in Klagenfurt, wohnhaft in Kremsmünster.
Studium der Geschichte an der Universität Salzburg.
Nach der Sponsion viele Jahre freiberuflich tätig im kulturwissenschaftlichen und genealogischen Bereich: Rechercheur für familiengeschichtliche Großprojekte in den ehemaligen Kronländern, Ausstellungskurator bei mehreren Landesausstellungen in Oberösterreich, Autor und Herausgeber von regionalgeschichtlichen Publikationen - vor allem für Kremsmünster, wissenschaftlicher Berater für oberösterreichische Heimatbücher, Mitarbeiter bei der österreichischen Historikerkommission, Texter für die europäische Kulturhauptstadt „Linz 09“, Ansprechpartner für regionale Kulturprojekte. Aktives Mitglied im Kulturforum Kremstal-Pyhrn.
Beschäftigt für das Musikinstrumentenmuseum Schloss Kremsegg.
Tätig in der Erwachsenenbildung.
Langjähriger Referent beim „Heimatforscherlehrgang“ der oberösterreichischen Akademie der Volkskultur, seit 2007 dessen Leiter.
Seit 2011 Vorstandsmitglied im OÖ Volksbildungswerk.
Obmann der Initiative „Kulturverein AUSSERDEM“ in Kremsmünster.
Vierter Teil einer Tarockrunde.
Landläufiger Fernseh-Fußball-Fan.

     
 
KLAGENFURT  
   


Suhrkamp, Cale und Okopenko


In der Stadt meiner verlesenen Jugend gab es acht Buchhandlungen. In den besseren dreien war ich regelmäßiger Gast. Ich suchte Literatur und fand sie in Taschenbüchern. Das Wesentliche gab es – Reclam aufwärts – bei dtv, kiwi, rororo, fischer und – ultimativer Gipfel – bei suhrkamp. Literatur hatte Kleinformat und einen vernünftigen Preis.
Nachdem ich bereits den fünften Herbst die Neuerscheinungen besagter Verlage auswendig lernte, zog ich in eine andere Stadt: mit weniger guten Buchhandlungen, dafür mit einem hervorragenden Plattengeschäft. Zwischen den Vorlesungen oder nach der Mensa kehrte ich einmal da und dann dort ein. Musikalisch lernte ich alte Meister zu schätzen. In der Bücherwelt öffnete ich die Augen für Neuerscheinungen.
Immer öfter fiel der Blick auf Ausgaben des Residenz-Verlags. Am Hochglanzumschlag der leinengebundenen Werke waren Autorennamen zu lesen, die Germanistik-Studenten als Geheimtipp nannten: George Saiko, Erwin Einzinger, Andreas Okopenko, Markus Werner. Der Kanon des Deutschunterrichts begann zu vergilben wie die Erinnerung an meine ersten LPs und die Seiten älterer Fischer-Taschenbücher. Vorlieben und Gewohnheiten veränderten sich. Statt das Regenbogen-Spektrum von Suhrkamp farblich zu ergänzen, vervollständigte ich die Sammlung von J.J.Cale-Platten: Naturally, Really, Okie, Troubadour. Statt das Licht nach dem Lesen auszumachen, traf ich mich mit Freunden und Freundin. Und an einem dieser schönen, langen Abende erzählte jemand drei A- und zwei B-Seiten lang von Andreas Okopenko. Dabei rezitierte er ein Gedicht, das er ihm zuschrieb und ich mir merkte, ohne es - wie seinerzeit Mörike - einstudieren zu müssen. „Die Eier werden billiger / die Frauen werden williger / es stinkt von den Aborten / Frühling allerorten“.

Geschrieben für die „Die literarischen Nahversorger“ der Gemeinde Schlierbach, 2003

       
     
 
GENEALOGIE
   

Diverse Suchaufträge und Recherchen führten in Archive und durch Matriken der ehemaligen Kronländer Böhmen, Krain, Küstenland, Mähren, Oesterreich ob und unter der Enns, Salzburg, Schlesien, Tirol, Wien.

Es wurde versucht, die Ahnen bis zur zehnten Generation zu erforschen. Die Ahnen dieser Generation dürften alle vor 1700 geboren worden sein. Eine vollständige Ahnentafel dieser Dimension würde 512 Familien bzw. Namen mit insgesamt 1023 Personen enthalten. Dieses theoretische Ergebnis lässt sich aber in der Praxis nie erzielen. Denn nicht der Genealoge bestimmt den Verlauf der Forschung, sondern die Quellenlage, d.h. der Bestand an Literatur, an Matriken oder Akten, die Auskunft über das Leben der Vorfahren geben können.
Metaphorisch gesprochen sind die Quellen gleichzeitig Meer und Wind. Die Genealogen verfolgen einen Kurs, kennen die Nautik, segeln aber ins Ungewisse. Man weiß, wie man sich zu bewegen und sich zu verhalten hat – was möglich ist und was nicht -, aber man weiß nie, ob man nicht abgetrieben wird. Von Generation zu Generation, von Küste zu Küste also, fährt man fort, ungewiss, ob man an der nächsten Küste landen oder stranden wird.
Um in diesem Bild zu bleiben, drohen die größten Gefahren bei genealogischen Expeditionen durch die Untiefen der ungenauen Eintragungen in den Kirchenbüchern und die Strudel der Mobilität der Vorfahren.

Aus: Ahnentafel der Familie Schischlik, 1993 (Limitierte Auflage)



       
     
 
REGIONALES
   


Sommer-Urlaub-Lektüre. Ein Rückblättern

Was sich mit und zwischen den Zeilen so tat in den Wochen rund um die Sonnenwende, jenem Tag, an dem auch der unbeweglichste Körper des Universums bemerkt, dass es nicht viel Sinn macht, über den 24.Breitengrad hinaus zu schielen, und beschließt, in seiner Sackgasse und im Zeichen des Krebses zu wenden?

Nichts Wesentliches, aber doch Einiges. Gelesen wurde immer, wenn auch vorwiegend Kleingedrucktes: Neuwagenprospekte, Gebrauchsanweisungen für Schleifmaschinen, Beipackzettel für Allergiemedikamente, Angebote fürs Billigertelefonieren und für Last-Minute-Flüge, Bedingungen für Rückholversicherungen.

Irgendwer sah sich die Preisverleihung bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt an, während ein anderer sich vornahm, anlässlich des 100.Bloomsdays zuerst über das dritte Kapitel des „Ulysses“ hinaus und bei Erfolg nach Dublin vorzustoßen: Beide wohl heillos romantisch und eine Art Sancho Pansa und Don Quijote der Leserschaft.

Irgendwo, vielleicht an den Ufern eines heimischen Bergsees, vergilbten an den wenigen heißen Tagen die Seiten dicker Libro-Mängelexemplare – in ihrer Wirkung wie Sonnencreme für den Geist – oder bekamen braune Flecken von tropfenden Eisglasuren – Eskimo-Melanome sozusagen.

Irgendein Paar suchte einen Namen für sein Ungeborenes. Er fand ihn auf der Sportseite inmitten der Aufstellung seines EM-Favoriten Tschechien und jubelte: „Milan“. Sie las ihn in der Mitte des Urlaubs auf dem Schutzumschlag ihres diesjährigen Lieblingsbuchs und sprach ihn aus mit „Engelszungen“: „Dimitré“. Viel Zeit sich zu einigen, bleibt ihnen nicht mehr. Das Vornamen-Buch kennen sie übrigens schon auswendig.

Irgendwann stoppte der Autor René Freund auf einer Rückfahrt von Wien nach Grünau und las in Kremsmünster vor vier Dutzend ZuhörerInnen von seinem Fußweg bis ans Ende der Welt.
Drei Wochen später - Freund war in so einer Zeitspanne vergleichsweise gut 300 km von Le Puy Richtung Santiago gepilgert - kamen die Hundstage und bald darauf der Geburtstag des Kaisers. Angeregt wühlte ich in Monarchischem – und fand Meteorologisches, nämlich Robert Musils grandioser Romanbeginn: Sommerhitze literarisch beschrieben in einer Zeit, in der das gold-schwarze Reich mit seinem Franz-Josef-Land ja bis knapp an eine Polkappe wirkte, die daher vor lauter Respekt noch nicht zu schmelzen gewagt hatte.

„Über dem Atlantik befand sich ein barometrisches Minimum; es wanderte ostwärts, einem über Russland lagernden Maximum zu, und verriet noch nicht die Neigung, diesem nördlich auszuweichen. Die Isothermen und Isotheren taten ihre Schuldigkeit. Die Lufttemperatur stand in einem ordnungsgemäßen Verhältnis zur mittleren Jahrestemperatur, zur Temperatur des kältesten wie des wärmsten Monats und zur aperiodischen monatlichen Temperaturschwankung. (...) Mit einem Wort, das das Tatsächliche recht gut bezeichnet, wenn es auch etwas altmodisch ist: Es war ein schöner Augusttag des Jahres 1913.“

Ja, so war es! Es war sehr schön, es hat ...! Nicht wirklich? Doch! Damals? Auch heuer!

Geschrieben für Bernhard „Bez“ Samitz (+) und „Die literarischen Nahversorger“, 2004

       
     
 
MUSIKSOMMER KREMSTAL-PYHRN
   


Programmheft 2011

Wann endet ein Sommertag in der Region? Wenn der Hüttenwirt die letzte Bestellung aufnimmt? Wenn der Bademeister die Freibäder zusperrt? Wenn der Grillabend beginnt, Glühwürmchen zu sehen sind ...? Vielleicht für Sie, wenn die letzte Zugabe gespielt wurde, der letzte Ton verklungen ist, in einer Bergkirche oder in einem Konzertsaal, in einem Lokschuppm oder in einem Schlosshof. Ein klassisches Konzert im Sommer, besser: beim Musiksommer Kremstal-Pyhrn belebt, macht Freude, ist ein Genuss ...

www.musiksommer.at

       
     
 
SCHLOSS KREMSEGG
   


Alles, was Sie schon immer über das Schloss Kremsegg wissen wollten. Neuauflage 2009


Das Musikinstrumentenmuseum ist ein einzigartiger Schnittpunkt. Seine Sammlungen, präsentiert in vier Dauerausstellungen, ergeben in Verbindung mit den räumlichen Möglichkeiten des Schlosses und dem angebotenen Kulturprogramm ein „Kompetenzzentrum“ für Musik. Mit der Philosophie, die Instrumente gezielt für die Klangforschung einzusetzen, gehört Kremsegg zur internationalen Museums-Avantgarde in diesem Bereich.

> Schloss Kremsegg



       
     
  LEHRGANGSLEITER / REFERENT in der ERWACHSENENBILDUNG
   


Ausschreibungstext zum „Ausbildungslehrgang Heimatforschung“ der Akademie der Volkskultur Oberösterreich, 2011

Heimatforschung beginnt meist mit ganz persönlichen Fragen: Woher kamen meine Vorfahren? Wie lange steht schon unser Haus und das der Nachbarn? Oder man hat Erzählungen im Ohr. Spannende Geschichten, von denen die älteren Leute noch wussten. Hinweise auf einstige Vorkommnisse.
Und irgendwann möchte man es genauer wissen, wie es eigentlich war und wie alles wurde, was einem nahe liegt.
Man möchte die Dinge näher erforschen und ihre Geschichte aufschreiben ...

> www.akademiedervolkskultur.at



       
     
  KULTURVEREIN AUSSERDEM
   

2004 erhielt der Kulturverein AUSSERDEM den „Großen Kulturpreis des Landes Oberösterreich für Initiative Kulturarbeit“ verliehen.

Dadurch, dass der Kulturverein keine fixe Spielstätte besitzt, konnte und musste sich ein hohes Maß an Flexibilität und organisatorischer Leichtigkeit entwickeln und halten. Das Credo lautete, an der Gestaltung eines kreativen Klimas in der Region zu arbeiten. Jenes, das Diskussionen fördert, ebenso das Nach- und Vordenken und selbstverständlich auch das Zuhören und Abwägen.
Das aktive kulturpolitische Engagement bewahrt den Verein davor, als Veranstaltungsmaschinchen zu enden.
Der Kulturverein lebt von der Gunst des Publikums, der Unterstützung der Mitglieder und vom Engagement der Mitarbeiter. Letzteres selbstverständlich ehrenamtlich und – man kennt es allerorten – mit Hang zur Selbstausbeutung.
Das Schönste ist es wahrscheinlich, Ideen zu realisieren und Veranstaltungen zu schaffen, die es ohne diesem Kulturverein in Kremsmünster nicht geben würde – ein Quentchen AUSSERDEM eben!

Aus: Beispiele 2004. Kulturpreise des Landes Oberösterreich.

       
     
  TAROCK
   

Hallo,
anbei ein kleine Malerei eines dänischen Malers namens Michael Peter Ancher aus dem Jahre 1906. Es heißt „Vier Tarockpartner schauen Fußball-EM“.
Links im Bild, mit eindeutiger Arm- und entspannter Grundhaltung Boysi. Alle drei anderen Vorbilder sind der freien Interpretation ausgesetzt. Ich würde sagen: zweiter von links - Adi, mit kritischem Blick und im grandseigneurhaften Weiß eines kommenden Bundesratsabgeordneten; darauf folgt Pich, die eindeutige Autorität unserer Tarockrunde, aufrecht gestützt auf den Stock Afiesls, und ganz rechts bleibe ich, etwas auf dem Sprung, unruhig und doch interessiert: Wahrscheinlich verliert gerade mein Favorit.

Aus: Tarock, mein Leben. Unveröffentlichte Korrespondenzen. 2002ff

Tarock der Emotionen oder die Ohnmacht leerer Worte!
Unter diesem Arbeits-Titel verlief der gestrige Einkehr-Abend der unwuchtigen Tarockrunde. Der Spielverlauf ist nicht weiter zu kommentieren. Ich selbst hoffe auf den nächsten Montag, der mir eine bessere nervliche Konstitution bescheren soll, denn Mahnungen und Worte zählen beim Tarockieren nicht: außer „Schuss!“ und „Retour!“
Sieg-Fried der sich umbenennen lassen muss in Niederlage-Zorn

Aus: Tarock, mein Leben. Unveröffentlichte Korrespondenzen. 2002ff

       
     
  FUSSBALL
   


Die Waden des Esels
Oder: Warum Frankreich 2006 den WM-Titel nicht gewinnen konnte


„Es hatte ein Mann einen Esel, (...) dessen Kräfte zu Ende gingen“, so beginnt das deutscheste der Grimmschen Märchen. Deutsch deshalb, weil es topographisch eindeutig zugeordnet ist, nach Bremen. Ein Esel, ein Hund, eine Katze und ein Hahn schließen sich zu Stadtmusikanten zusammen. Mitten in Bremen – das übrigens kein FIFA-WM-Stadion hatte – steht ein Denkmal dieser „Vier im Ausgedinge“. Seit dem WM Finale am 9.Juli 2006 sind sie ein Sinnbild für die Fußballnation Frankreich, zumindest solange die Weltmeisterschaft 2006 noch nachhallt. Wurde nicht Zidane das ganze Turnier lang als „alter Mann“ beschrieben? Erinnerte sein Laufstil bzw. seine Beschleunigung im Vergleich zu den Sprints jüngerer Athleten nicht an den Trab eines Esels? Und lag das Überraschende an seinem Spiel nicht auch in einem gewissen Eigensinn? Der Esel jedenfalls wird im Märchen zum Anführer der Gruppe der Ausgedienten. In der Equipe gesellten sich zu Zidane ein gleichaltriger Thuram und ein kurz nach der WM zurückgetretener Makelele. Sie bildeten bei den Auftritten die Basis für den gallischen Hahn.
Und wie setzt die Geschichte fort bei den Brüdern Grimm, nachdem sich die Vier gefunden und ein langes Stück Wegs hinter sich gebracht haben? Richtig, sie blamieren eine Räuberbande und verjagen sie mit spielerischen Mitteln aus ihrer Bleibe! „Auf ein Zeichen fingen sie an, ihre Musik zu machen (...) Die Räuber fuhren in die Höhe und flohen in größter Furcht“. Seinerzeit war der italienische Fußballbetrieb im Gerede und schiefen Licht. Der Verdacht des Unlauteren war auf die Squadra Azzurra gefallen, von der es vier Wochen lang hieß, sie wehrte sich durch ihren Erfolg und Auftritt gegen das Vorurteil, kriminell zu sein. Frankreich hatte also das italienische Team im Griff und damit das Ziel eines goldenen Lebensabends vor Augen - bis zur 109.Minute. Im Märchen kehren die Räuber zurück. Im Finale glichen die Italiener aus und kamen in die Verlängerung. Also meinte Zidane, handeln zu müssen: „Und als der Räuber über den Hof an den Mist vorbei rannte, gab ihm der Esel noch einen tüchtigen Schlag.“ Jeder kennt die Szene: Zidane nahm Anlauf und nickte gegen die Brust Materazzis - getreu der märchenhaften Anleitung. Bloß gab es in diesem Moment keine Grimmschen Geschichtenerzähler mit lauschender Zuhörerschaft weit und breit, sondern Kameras, die das grimmige Bild für die Zuseher festhielten, und einen Schiedsrichter, der Regelverstöße ahndet. Verwirrung und Erstaunen war die Reaktion der Zuseher und nicht offene Münder und Ohren. Ein Held machte sich wirklich selbst zum Esel.
Zidane konnte an diesem Abend kein neues Märchen schreiben, weil er versuchte, ein bestehendes wortwörtlich zu erfüllen. Die französische Mannschaft konnte nicht gewinnen, weil sie glaubte wie im deutschen Märchen zu spielen. Für ihren Anführer blieb von einem möglichen französischen Märchen nur der Einleitungssatz: Es war einmal Zidane!
PS: Und die Moral von dieser Geschichte: Trau keinen Kindergeschichten – schon gar nicht einem deutschen Sommermärchen ...

Unveröffentlichtes Manuskript, 2006