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Suhrkamp, Cale und Okopenko
In der Stadt meiner verlesenen Jugend gab es acht Buchhandlungen.
In den besseren dreien war ich regelmäßiger Gast. Ich suchte
Literatur und fand sie in Taschenbüchern. Das Wesentliche gab es
– Reclam aufwärts – bei dtv, kiwi, rororo, fischer und
– ultimativer Gipfel – bei suhrkamp. Literatur hatte Kleinformat
und einen vernünftigen Preis.
Nachdem ich bereits den fünften Herbst die Neuerscheinungen besagter
Verlage auswendig lernte, zog ich in eine andere Stadt: mit weniger guten
Buchhandlungen, dafür mit einem hervorragenden Plattengeschäft.
Zwischen den Vorlesungen oder nach der Mensa kehrte ich einmal da und
dann dort ein. Musikalisch lernte ich alte Meister zu schätzen. In
der Bücherwelt öffnete ich die Augen für Neuerscheinungen.
Immer öfter fiel der Blick auf Ausgaben des Residenz-Verlags. Am
Hochglanzumschlag der leinengebundenen Werke waren Autorennamen zu lesen,
die Germanistik-Studenten als Geheimtipp nannten: George Saiko, Erwin
Einzinger, Andreas Okopenko, Markus Werner. Der Kanon des Deutschunterrichts
begann zu vergilben wie die Erinnerung an meine ersten LPs und die Seiten
älterer Fischer-Taschenbücher. Vorlieben und Gewohnheiten veränderten
sich. Statt das Regenbogen-Spektrum von Suhrkamp farblich zu ergänzen,
vervollständigte ich die Sammlung von J.J.Cale-Platten: Naturally,
Really, Okie, Troubadour. Statt das Licht nach dem Lesen auszumachen,
traf ich mich mit Freunden und Freundin. Und an einem dieser schönen,
langen Abende erzählte jemand drei A- und zwei B-Seiten lang von
Andreas Okopenko. Dabei rezitierte er ein Gedicht, das er ihm zuschrieb
und ich mir merkte, ohne es - wie seinerzeit Mörike - einstudieren
zu müssen. „Die Eier werden billiger / die Frauen werden williger
/ es stinkt von den Aborten / Frühling allerorten“.
Geschrieben für die „Die literarischen Nahversorger“
der Gemeinde Schlierbach, 2003
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Diverse
Suchaufträge und Recherchen führten in Archive und durch Matriken
der ehemaligen Kronländer Böhmen, Krain, Küstenland, Mähren,
Oesterreich ob und unter der Enns, Salzburg, Schlesien, Tirol, Wien.
Es wurde versucht, die Ahnen bis zur zehnten Generation zu erforschen.
Die Ahnen dieser Generation dürften alle vor 1700 geboren worden
sein. Eine vollständige Ahnentafel dieser Dimension würde 512
Familien bzw. Namen mit insgesamt 1023 Personen enthalten. Dieses theoretische
Ergebnis lässt sich aber in der Praxis nie erzielen. Denn nicht der
Genealoge bestimmt den Verlauf der Forschung, sondern die Quellenlage,
d.h. der Bestand an Literatur, an Matriken oder Akten, die Auskunft über
das Leben der Vorfahren geben können.
Metaphorisch gesprochen sind die Quellen gleichzeitig Meer und Wind. Die
Genealogen verfolgen einen Kurs, kennen die Nautik, segeln aber ins Ungewisse.
Man weiß, wie man sich zu bewegen und sich zu verhalten hat –
was möglich ist und was nicht -, aber man weiß nie, ob man
nicht abgetrieben wird. Von Generation zu Generation, von Küste zu
Küste also, fährt man fort, ungewiss, ob man an der nächsten
Küste landen oder stranden wird.
Um in diesem Bild zu bleiben, drohen die größten Gefahren bei
genealogischen Expeditionen durch die Untiefen der ungenauen Eintragungen
in den Kirchenbüchern und die Strudel der Mobilität der Vorfahren.
Aus: Ahnentafel der Familie Schischlik, 1993 (Limitierte
Auflage) |
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Sommer-Urlaub-Lektüre.
Ein Rückblättern
Was sich mit
und zwischen den Zeilen so tat in den Wochen rund um die Sonnenwende,
jenem Tag, an dem auch der unbeweglichste Körper des Universums bemerkt,
dass es nicht viel Sinn macht, über den 24.Breitengrad hinaus zu
schielen, und beschließt, in seiner Sackgasse und im Zeichen des
Krebses zu wenden?
Nichts Wesentliches,
aber doch Einiges. Gelesen wurde immer, wenn auch vorwiegend Kleingedrucktes:
Neuwagenprospekte, Gebrauchsanweisungen für Schleifmaschinen, Beipackzettel
für Allergiemedikamente, Angebote fürs Billigertelefonieren
und für Last-Minute-Flüge, Bedingungen für Rückholversicherungen.
Irgendwer sah
sich die Preisverleihung bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur
in Klagenfurt an, während ein anderer sich vornahm, anlässlich
des 100.Bloomsdays zuerst über das dritte Kapitel des „Ulysses“
hinaus und bei Erfolg nach Dublin vorzustoßen: Beide wohl heillos
romantisch und eine Art Sancho Pansa und Don Quijote der Leserschaft.
Irgendwo, vielleicht an den Ufern eines heimischen Bergsees, vergilbten
an den wenigen heißen Tagen die Seiten dicker Libro-Mängelexemplare
– in ihrer Wirkung wie Sonnencreme für den Geist – oder
bekamen braune Flecken von tropfenden Eisglasuren – Eskimo-Melanome
sozusagen.
Irgendein Paar
suchte einen Namen für sein Ungeborenes. Er fand ihn auf der Sportseite
inmitten der Aufstellung seines EM-Favoriten Tschechien und jubelte: „Milan“.
Sie las ihn in der Mitte des Urlaubs auf dem Schutzumschlag ihres diesjährigen
Lieblingsbuchs und sprach ihn aus mit „Engelszungen“: „Dimitré“.
Viel Zeit sich zu einigen, bleibt ihnen nicht mehr. Das Vornamen-Buch
kennen sie übrigens schon auswendig.
Irgendwann stoppte
der Autor René Freund auf einer Rückfahrt von Wien nach Grünau
und las in Kremsmünster vor vier Dutzend ZuhörerInnen von seinem
Fußweg bis ans Ende der Welt.
Drei Wochen später - Freund war in so einer Zeitspanne vergleichsweise
gut 300 km von Le Puy Richtung Santiago gepilgert - kamen die Hundstage
und bald darauf der Geburtstag des Kaisers. Angeregt wühlte ich in
Monarchischem – und fand Meteorologisches, nämlich Robert Musils
grandioser Romanbeginn: Sommerhitze literarisch beschrieben in einer Zeit,
in der das gold-schwarze Reich mit seinem Franz-Josef-Land ja bis knapp
an eine Polkappe wirkte, die daher vor lauter Respekt noch nicht zu schmelzen
gewagt hatte.
„Über
dem Atlantik befand sich ein barometrisches Minimum; es wanderte ostwärts,
einem über Russland lagernden Maximum zu, und verriet noch nicht
die Neigung, diesem nördlich auszuweichen. Die Isothermen und Isotheren
taten ihre Schuldigkeit. Die Lufttemperatur stand in einem ordnungsgemäßen
Verhältnis zur mittleren Jahrestemperatur, zur Temperatur des kältesten
wie des wärmsten Monats und zur aperiodischen monatlichen Temperaturschwankung.
(...) Mit einem Wort, das das Tatsächliche recht gut bezeichnet,
wenn es auch etwas altmodisch ist: Es war ein schöner Augusttag des
Jahres 1913.“
Ja, so war es!
Es war sehr schön, es hat ...! Nicht wirklich? Doch! Damals? Auch
heuer!
Geschrieben
für Bernhard „Bez“ Samitz (+) und „Die literarischen
Nahversorger“, 2004
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MUSIKSOMMER
KREMSTAL-PYHRN |
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Programmheft
2011
Wann endet ein
Sommertag in der Region? Wenn der Hüttenwirt die letzte Bestellung
aufnimmt? Wenn der Bademeister die Freibäder zusperrt? Wenn der Grillabend
beginnt, Glühwürmchen zu sehen sind ...? Vielleicht für
Sie, wenn die letzte Zugabe gespielt wurde, der letzte Ton verklungen
ist, in einer Bergkirche oder in einem Konzertsaal, in einem Lokschuppm
oder in einem Schlosshof. Ein klassisches Konzert im Sommer, besser: beim
„Musiksommer
Kremstal-Pyhrn“
belebt, macht Freude, ist ein Genuss ...
www.musiksommer.at
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Alles, was Sie schon immer über das Schloss Kremsegg wissen
wollten. Neuauflage 2009
Das Musikinstrumentenmuseum
ist ein einzigartiger Schnittpunkt. Seine Sammlungen, präsentiert
in vier Dauerausstellungen, ergeben in Verbindung mit den räumlichen
Möglichkeiten des Schlosses und dem angebotenen Kulturprogramm ein
„Kompetenzzentrum“ für Musik. Mit der Philosophie, die
Instrumente gezielt für die Klangforschung einzusetzen, gehört
Kremsegg zur internationalen Museums-Avantgarde in diesem Bereich.
> Schloss
Kremsegg
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LEHRGANGSLEITER
/ REFERENT in der ERWACHSENENBILDUNG |
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Ausschreibungstext
zum „Ausbildungslehrgang Heimatforschung“ der Akademie der
Volkskultur Oberösterreich, 2011
Heimatforschung beginnt meist mit ganz persönlichen Fragen: Woher
kamen meine Vorfahren? Wie lange steht schon unser Haus und das der Nachbarn?
Oder man hat Erzählungen im Ohr. Spannende Geschichten, von denen
die älteren Leute noch wussten. Hinweise auf einstige Vorkommnisse.
Und irgendwann möchte man es genauer wissen, wie es eigentlich war
und wie alles wurde, was einem nahe liegt.
Man möchte die Dinge näher erforschen und ihre Geschichte aufschreiben
...
> www.akademiedervolkskultur.at
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KULTURVEREIN AUSSERDEM |
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2004 erhielt der Kulturverein AUSSERDEM den „Großen
Kulturpreis des Landes Oberösterreich für Initiative Kulturarbeit“
verliehen.
Dadurch, dass der Kulturverein keine fixe Spielstätte besitzt,
konnte und musste sich ein hohes Maß an Flexibilität und organisatorischer
Leichtigkeit entwickeln und halten. Das Credo lautete, an der Gestaltung
eines kreativen Klimas in der Region zu arbeiten. Jenes, das Diskussionen
fördert, ebenso das Nach- und Vordenken und selbstverständlich
auch das Zuhören und Abwägen.
Das aktive kulturpolitische Engagement bewahrt den Verein davor, als Veranstaltungsmaschinchen
zu enden.
Der Kulturverein lebt von der Gunst des Publikums, der Unterstützung
der Mitglieder und vom Engagement der Mitarbeiter. Letzteres selbstverständlich
ehrenamtlich und – man kennt es allerorten – mit Hang zur
Selbstausbeutung.
Das Schönste ist es wahrscheinlich, Ideen zu realisieren und Veranstaltungen
zu schaffen, die es ohne diesem Kulturverein in Kremsmünster nicht
geben würde – ein Quentchen AUSSERDEM eben!
Aus: Beispiele 2004. Kulturpreise des Landes Oberösterreich. |
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TAROCK |
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Hallo,
anbei ein kleine Malerei eines dänischen Malers namens Michael Peter
Ancher aus dem Jahre 1906. Es heißt „Vier Tarockpartner schauen
Fußball-EM“.
Links im Bild, mit eindeutiger Arm- und entspannter Grundhaltung Boysi.
Alle drei anderen Vorbilder sind der freien Interpretation ausgesetzt.
Ich würde sagen: zweiter von links - Adi, mit kritischem Blick und
im grandseigneurhaften Weiß eines kommenden Bundesratsabgeordneten;
darauf folgt Pich, die eindeutige Autorität unserer Tarockrunde,
aufrecht gestützt auf den Stock Afiesls, und ganz rechts bleibe ich,
etwas auf dem Sprung, unruhig und doch interessiert: Wahrscheinlich verliert
gerade mein Favorit.
Aus: Tarock,
mein Leben. Unveröffentlichte Korrespondenzen. 2002ff
Tarock der Emotionen oder die Ohnmacht leerer Worte!
Unter diesem Arbeits-Titel verlief der gestrige Einkehr-Abend der unwuchtigen
Tarockrunde. Der Spielverlauf ist nicht weiter zu kommentieren. Ich selbst
hoffe auf den nächsten Montag, der mir eine bessere nervliche Konstitution
bescheren soll, denn Mahnungen und Worte zählen beim Tarockieren
nicht: außer „Schuss!“ und „Retour!“
Sieg-Fried der sich umbenennen lassen muss in Niederlage-Zorn
Aus: Tarock, mein Leben. Unveröffentlichte Korrespondenzen.
2002ff
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FUSSBALL
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Die Waden
des Esels
Oder: Warum Frankreich 2006 den WM-Titel nicht gewinnen konnte
„Es hatte ein Mann einen Esel, (...) dessen Kräfte zu Ende
gingen“, so beginnt das deutscheste der Grimmschen Märchen.
Deutsch deshalb, weil es topographisch eindeutig zugeordnet ist, nach
Bremen. Ein Esel, ein Hund, eine Katze und ein Hahn schließen sich
zu Stadtmusikanten zusammen. Mitten in Bremen – das übrigens
kein FIFA-WM-Stadion hatte – steht ein Denkmal dieser „Vier
im Ausgedinge“. Seit dem WM Finale am 9.Juli 2006 sind sie ein Sinnbild
für die Fußballnation Frankreich, zumindest solange die Weltmeisterschaft
2006 noch nachhallt. Wurde nicht Zidane das ganze Turnier lang als „alter
Mann“ beschrieben? Erinnerte sein Laufstil bzw. seine Beschleunigung
im Vergleich zu den Sprints jüngerer Athleten nicht an den Trab eines
Esels? Und lag das Überraschende an seinem Spiel nicht auch in einem
gewissen Eigensinn? Der Esel jedenfalls wird im Märchen zum Anführer
der Gruppe der Ausgedienten. In der Equipe gesellten sich zu Zidane ein
gleichaltriger Thuram und ein kurz nach der WM zurückgetretener Makelele.
Sie bildeten bei den Auftritten die Basis für den gallischen Hahn.
Und wie setzt die Geschichte fort bei den Brüdern Grimm, nachdem
sich die Vier gefunden und ein langes Stück Wegs hinter sich gebracht
haben? Richtig, sie blamieren eine Räuberbande und verjagen sie mit
spielerischen Mitteln aus ihrer Bleibe! „Auf ein Zeichen fingen
sie an, ihre Musik zu machen (...) Die Räuber fuhren in die Höhe
und flohen in größter Furcht“. Seinerzeit war der italienische
Fußballbetrieb im Gerede und schiefen Licht. Der Verdacht des Unlauteren
war auf die Squadra Azzurra gefallen, von der es vier Wochen lang hieß,
sie wehrte sich durch ihren Erfolg und Auftritt gegen das Vorurteil, kriminell
zu sein. Frankreich hatte also das italienische Team im Griff und damit
das Ziel eines goldenen Lebensabends vor Augen - bis zur 109.Minute. Im
Märchen kehren die Räuber zurück. Im Finale glichen die
Italiener aus und kamen in die Verlängerung. Also meinte Zidane,
handeln zu müssen: „Und als der Räuber über den Hof
an den Mist vorbei rannte, gab ihm der Esel noch einen tüchtigen
Schlag.“ Jeder kennt die Szene: Zidane nahm Anlauf und nickte gegen
die Brust Materazzis - getreu der märchenhaften Anleitung. Bloß
gab es in diesem Moment keine Grimmschen Geschichtenerzähler mit
lauschender Zuhörerschaft weit und breit, sondern Kameras, die das
grimmige Bild für die Zuseher festhielten, und einen Schiedsrichter,
der Regelverstöße ahndet. Verwirrung und Erstaunen war die
Reaktion der Zuseher und nicht offene Münder und Ohren. Ein Held
machte sich wirklich selbst zum Esel.
Zidane konnte an diesem Abend kein neues Märchen schreiben, weil
er versuchte, ein bestehendes wortwörtlich zu erfüllen. Die
französische Mannschaft konnte nicht gewinnen, weil sie glaubte wie
im deutschen Märchen zu spielen. Für ihren Anführer blieb
von einem möglichen französischen Märchen nur der Einleitungssatz:
Es war einmal Zidane!
PS: Und die Moral von dieser Geschichte: Trau keinen Kindergeschichten
– schon gar nicht einem deutschen Sommermärchen ...
Unveröffentlichtes Manuskript, 2006
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